Interview mit einer Übersetzerin

Liebe Cheyenne,

danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Hast du Lust dich kurz vorzustellen und zu erzählen, wieso du dich entschieden hast Japanologie zu studieren?

Hallo liebe Mel und Planet Comics Erfurt,

vielen Dank für Eure Einladung zum Interview 😊 Es freut mich sehr!

Meine Name ist Cheyenne Dreißigacker, ich habe letztes Jahr meinen Master in Japanologie erfolgreich abgeschlossen und mich danach als Übersetzerin & Japanexpertin selbstständig gemacht. Meistens geht die japanologische Beratung bei Übersetzungen und Arbeiten am Text sowieso Hand in Hand. Meinen Bachelor habe ich in Japanologie und Kunstgeschichte absolviert.

Ich bin die erste in meiner Familie die überhaupt studiert, das hat ganz schön für Wirbel gesorgt und war eine aufregende Zeit. Japan spukt mir schon seit der Mittelstufe durch den Kopf… Damals um 2004/2005 rum hat es mit Samurai, Japans Geschichte, Manga, Conventions und Cosplay angefangen. Doch japanische Musik, J-Rock und Pop, haben mich dazu gebracht diese Sprache in all ihren Facetten lernen zu wollen. Sie klang so melodisch und klar. Als würde sie in meinem Kopf Sinn ergeben, ohne dass ich die Vokabeln kannte. Seltsam oder?

War der Wunsch Übersetzerin zu werden zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden? Würdest du es als Traumjob bezeichnen?

Ich erinnere mich noch, damals als man gefühlt ewig auf den nächsten Band gewartet hat und ich mir dachte: „Wow, es muss echt wenig Übersetzer geben und die bringen uns die ganzen tollen Geschichten hier rüber. Das will ich auch machen!“

Doch bis ich zu diesem jugendlichen Gedanken zurück kam hat es ein wenig gedauert. Ich habe seit dem Abitur nebenher gejobbt und auch im Studium immer gearbeitet. So konnte ich mich als Dolmetscherin auf Messen beweisen, als Hiwi am Institut der Universität in den Lehralltag reinschnuppern und mich als Marketing Assistentin ausprobieren.

2017 war ich sechs Monate an der Rikkyo Universität in Tokyo. Dort konnte ich viel tiefer in die japanische Sprache und Kultur eintauchen (auch bei dem ein oder anderen Umeshu, zwinker).

So kam ich nach einigen beruflichen Umwegen immer wieder auf meine Liebe für Japanisch und Kanji zurück. Ende 2021 habe ich mir dann ein Herz gefasst und den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt! Jetzt kann ich mich voll und ganz der Sprache und Kultur widmen, so wie ich es eigentlich immer wollte. (Und ganz nebenbei mein eigener Boss sein 😉)

Wie kommst du an Aufträge und kannst du von diesem Beruf leben?

Ich habe mich zunächst bei verschiedenen Verlagen beworben und musste zu Beginn eine Probeübersetzung anfertigen. Dann schaut man, ob es passt und es kommt zu den ersten Aufträgen. Diese Anlaufzeit dauert seine Zeit, da es natürlich feste Stammübersetzer gibt und es für die Verlage auch immer ein Risiko ist jemand Neues an einen wichtigen Titel zu lassen.

Es ist leider kein Geheimnis, dass das Übersetzen egal ob für Manga, Games oder Literatur eher schlecht als recht bezahlt wird. Die Arbeit am Text ist wirkliche Hirnakrobatik und braucht viele Kenntnisse, Wissen und Hingabe über ein normales Level hinaus, würde ich behaupten. Umso schneller man also arbeitet, umso mehr verdient man…

Da ich nun im ersten Jahr meiner Selbstständigkeit bin, hatte ich zu Beginn noch einen Mini-Job als Buchhändlerin. Bin einfach ein Büchermensch durch und durch. Und weil alles seine Zeit am Anfang braucht und man als Freiberuflerin abhängig von der Auftragslage ist, war das für mich in den ersten Monaten sicherer.

Mit meinen Übersetzungsaufträgen bin ich nun mittlerweile im zweiten Quartal 2023 angekommen… Ich denke, für mein erstes Jahr als professionelle Übersetzerin ist es gut angelaufen und ich freue mich auf alles was da kommt! 😊

Wenn du ein neues Projekt startest, wie gehst du beim Übersetzen vor?

Wenn es die Zeit erlaubt, lese ich gerne das Material zunächst komplett. Leider reicht es meist nur für ein Querlesen in der Realität. Dann werden Vorlagen und Dokumente erstellt. Je nach Verlag variieren nämlich die Vorgaben was die Formatierung angeht.

Bei umfangreicheren Projekten, wie jetzt bei meinem japanischen Roman oder einer mehrbändigen Mangareihe ist es außerdem ratsam ein Glossar für Charaktere, Begriffe, Orte usw. anzulegen. Das habe ich bei meinem ersten Projekt damals schmerzlich gelernt, als plötzlich ein Throwback in der Story vorkam und ich dann die Stelle aus dem Skript von den vorigen Bänden mühsam raussuchen musste.

Dann geht es auch schon ran an den Speck, äh, ich meine den Text natürlich. Ich denke, jeder hat da so seine eigenen Ablauf… Ich lese gern, im Fall von Manga, das komplette folgende Kapitel und mach mich dann erst an die Sprechblasen. Meistens lasse ich die Soundwörter außen vor und kümmere mich erst um die wörtliche Rede und den Erzähler. So weiß ich worauf es hinauslaufen wird und fühle mich besser in die Charaktere ein. Wenn es mal hakt, fange ich mit Korrekturen an oder recherchiere etwas was ich mir zuvor markiert hatte. Zum Schluss muss natürlich dann nochmal alles im Gesamten durchgelesen und geprüft werden. Damit es sich wie aus einem Guss liest und die Charaktere z.B. nicht plötzlich ganz anders sprechen am Ende des Bandes. Das ist mir sehr wichtig…

Miss Kobayashi’s Dragon Maid – Band 1 (Dani Books) wurde von Cheyenne übersetzt

Wie findest du Synonyme für spezifische Fremdwörter bzw. Eigenwörter?

Hmm… bei Fremdwörtern schlage ich gerne in Themenlexika nach. Ich habe diverse hier in einer kleinen „Handbibliothek“, auch wenn man natürlich viel im Internet recherchieren kann (oft ist Twitter da gar nicht mal so schlecht gerade bei Trendwörtern!).

Ich habe z.B. Lexika zur japanischen Kultur, Architektur, Religion oder Gartenbaukunst hier. Mein Favorit bisher ist mein Handbuch mit Begriffen zur Mode der Welt seit dem 17. Jahrhundert. Sowas ist wirklich hilfreich, wenn man sich fragt „Wie hieß nochmal der ‚Schnubbel‘ an dem ‚Dingsda‘ und hatte es eine Bedeutung in der damaligen Gesellschaft? Von wem wurde es getragen? War es eher was teures oder alltägliches?“ Solche Fragen kommen dann oft auf, die auch wichtig für das Setting oder die Charaktere sein können. Wenn ich gar nicht weiter weiß, frage ich meist noch schüchtern bei Kolleg:innen oder japanischen Freunden nach und die haben meistens eine gute Idee oder einen Tipp was es sein könnte oder was funktionieren würde.

Eigenwörter, gerade bei Shonen- oder Fantasytiteln sind ein echtes Kaliber für sich. Da gilt es zu schauen, ob es überhaupt Sinn macht diese zu übersetzen. Versteht der Leser den Sinn oder die Aufgabe wenn man sie nur transkribiert? Also es wie im Japanischen lässt und nur in unser Alphabet und Lautesystem überträgt. Zum Beispiel: Kame-hame-ha, kennt und versteht jeder wenn er/sie Dragon Ball gelesen hat. Braucht es eine Fußnote? Gerade bei Attacken, Magie oder Gamebegriffen stolpert man häufig über solche Herausforderungen.

Ist es schwierig Wortwitze ins deutsche zu übertragen bzw. welche Worte/Konzepte lassen sich eher schwer übersetzen?

Witze generell sind schwierig. Das muss nicht mal ein Wortwitz sein, auch Situationskomik kann schwer zu übertragen sein. Einfach weil in Manga oder japanischer Literatur ganz andere Bilder aus dem Alltag für solche Situationen herangezogen werden und auch das Verhalten untereinander sich oft unterscheidet. Bei Wortwitzen kommt noch hinzu, dass man im Japanischen die Kanji hat, mit denen sehr viel gespielt werden kann. Gerade bei denen die, die gleiche Aussprache aber andere Kanji haben lassen mich regelmäßig in die Tischkante beißen.

Bist du privat auch Mangasammlerin und kaufst u.a. auch die von dir übersetzten Werke?

Oh ja. Ich sammle Manga schon sehr lange… Sagt euch die Banzai oder Daisuki noch was? So lange, lach. Ich versuche im Moment mehr auf E-Manga umzustellen, denn das Mangaregal platzt förmlich aus allen Nähten (600+ Bände). Lieblingsserien, Raritäten oder Special Editions möchte ich aber physisch haben. Ganz digital ist einfach nicht das Gleiche für eine Sammlerin wie mich…. „Mein Schatz…“ sag ich da nur.

Als Übersetzerin und somit Autorin der deutschen Version habe ich das Glück meistens ein oder mehrere Leseexemplare vom Verlag zu erhalten. Die sind zum einen für das eigene Portfolio und zum anderen auch zur Kontrolle. Eigentlich ist man einfach nur stolz wie Bolle, wenn man sein Textbaby endlich gedruckt in den Händen hält und es allen im Umkreis vor die Nase halten kann…! Also nehmt euch in Acht, sobald wieder was von mir erscheint 😉

Folgende Frage wurde von einem unserer Follower gestellt: Wolltest du schon immer Mal eine lustige Fake-Übersetzung gedruckt sehen?

Ich verstehe den Reiz dahinter, aber da ich weiß, wie viele Leute daran beteiligt sind und sich Mühe geben, dass alles seine Richtigkeit hat – nein. Als Extrapanel oder Kapitel fände ich sowas jedoch ganz lustig. Also eine „geplante gedruckte Fake-Übersetzung“ vielleicht? Das geht aber nicht bei jedem Titel, sowas muss auch irgendwie zum Mangaka oder zur Story passen…

Barefoot Angel (Egmont Verlag) wurde von Cheyenne übersetzt